Der heutige Blog-Artikel dreht sich darum, was vorgefertigte Meinungen und pauschale Aussagen mit uns machen. Unser Gehirn liebt es zu kategorisieren, Erlebnisse/Reize/Personen/Hunde in Schubladen zu stecken. Das macht die Welt für uns einfacher und verständlicher.
Ich möchte heute einen kleinen Test mit Ihnen machen. Untenstehend finden Sie verschiedene Beispiele mit jeweils 2 Aussagen zu dem Verhalten. Es geht hier nicht um richtig oder falsch. Ich möchte, dass Sie in sich hineinhören. Lassen Sie die Aussagen kurz auf sich wirken, bevor Sie weiterlesen. Welche Gefühle lösen sie bei Ihnen aus? Wie stehen Sie zu dem Hund – sind Sie wütend, frustriert, verständnisvoll?
Legen wir los!
1. Ein Hund reitet bei einem anderen Hund auf.
Aussage 1: „Er ist dominant!“
Aussage 2: „Er ist gestresst!“
Beide Möglichkeiten kommen in Frage. Doch das Wort „dominant“ macht etwas ganz anderes mit der Gefühlslage des Menschen als das Wort „gestresst“. Nicht wahr? Ein Hund, der gestresst ist, wird eher auf Mitgefühl stoßen als einer, der dominant ist.
2. Ein Hund verfolgt eine Rehspur und kommt nicht auf Rufen des Menschen zurück.
Aussage 1: „Er WILL mich nicht hören.“
Aussage 2: „Er KANN mich nicht hören.“
Auch hier wieder: beides ist möglich. Bei welchem Hund zeigen Sie mehr Verständnis? Aus welchem Grund gehen die meisten Leute davon aus, der Hund nicht hören WILL?
Hierzu werde ich aus dem Buch „Es würde Knochen vom Himmel regnen“ von Suzanne Clothier zitieren:
„Bei einem Laborversuch wurde eine Katze mit Elektroden versehen, die den Forschern halfen zu erkennen, wenn vom Gehirn ein hörbares Signal wahrgenommen wurde. Wenn der Ton abgespielt wurde, reagierte das Gehirn der Katze mit einem Signal. Ton, Signal, Ton, Signal. Dann setzten die Forscher eine Maus vor den Käfig der Katze, sodass sie sie sehen, jedoch nicht erreichen konnte. Sie waren neugierig, wie das Gehirn der Katze die konkurrierenden Reize der Maus und des Tons verarbeiten würde. Ihre Theorie war, dass das Gehirn den Ton registrieren würde, dass die Katze diesen Reiz zu Gunsten der Maus jedoch bewusst ignorieren würde. Zu ihrer Überraschung registrierte das Gehirn den Ton überhaupt nicht, wenn die Katze sich vollständig auf die Maus konzentrierte. Es war, als ob der Ton in der Wahrnehmung der Welt der Katze in diesem Moment nicht mehr existierte.“
Das heißt natürlich nicht, dass das bei Ihrem Hund auch so ist, wenn er auf Rufen nicht kommt. Doch es heißt auch nicht, dass er nicht hören WILL.
3. Sie kommen nach Hause und Ihr Hund springt sie wild an.
Aussage 1: „Er maßregelt mich, weil ich so lange weg war.“
Aussage 2: „Er freut sich riesig mich zu sehen, weil ich so lange weg war.“
Bei welcher Aussage zeigen sie sich versöhnlicher was das Hochspringen angeht und bei welcher werden Sie strenger reagieren?
4. Ihr Hund ist im Haus Ihr Schatten und verfolgt Sie auf Schritt und Tritt. Nicht mal alleine auf die Toilette können Sie gehen, ohne dass der Hund mitkommen möchte.
Aussage 1: „Er kontrolliert mich.“
Aussage 2: „Er hat Verlustangst.“
Mitgefühl wird bei einem Hund mit Kontrollzwang eher selten gezeigt. Bei Verlustangst hingegen ist das Verständnis viel größer. Spannend, da schließlich das Verhalten ein und dasselbe ist.
5. Der Hund bellt viel im Haus, springt überall hoch, ist rastlos und zerstört Gegenstände.
Aussage 1: „Er ist respektlos.“
Aussage 2: „Er ist überfordert.“
Die Aussage, dass ein Hund respektlos sei, begegnet mir immer wieder. Die Frage ist nur: weiß ein Hund überhaupt, was Respekt ist? Besonders im Kontext mit dem Menschen?
Was haben alle Aussagen gemeinsam?
Es sind Label – also Etiketten – die wir dem Hund aufdrücken. Störrisch, dominant, schüchtern, überfordert, eifersüchtig, ängstlich, alles Etiketten. Wir interpretieren das hundliche Verhalten und setzen ihm einen Stempel auf. Das passiert ganz automatisch und ist absolut menschlich. Ich mache es ebenfalls - bewusst und auch unbewusst. Die Art des Etiketts hängt von unserer Einstellung zum Hund ab, unserem Wissenstand, aber auch von unserer derzeitigen Gefühlslage. Sind wir zum Beispiel selbst gestresst und werden vom Hund angesprungen, wählen wir eher das Etikett „dominant“ anstatt „überfordert“.
Mir ist wichtig, dass Sie Ihre eigenen Etiketten erkennen und sich fragen, ob das gewählte Etikett wirklich zum Verhalten des Hundes passt. Entscheidend ist, dass Sie zuerst völlig wertfrei das Verhalten beobachten, die Randbedingungen mit einbeziehen und anschließend bewusst das Verhalten interpretieren.
Hier ein Beispiel: Anstatt den Hund als „aggressiv“ abzustempeln, wird das Verhalten genau beschrieben: „Immer, wenn mein Hund sein Futter frisst und meine Hand nach dem Napf greifen möchte, fängt er an zu knurren.“
Der Unterschied? Das Etikett „aggressiv“ ist zum einen sehr vage und zum anderen liest es sich wie ein Persönlichkeitsmerkmal des Hundes, an dem man nichts ändern kann. Durch genaues Beschreiben des Verhaltens stellt man allerdings fest, dass der Hund aus einem bestimmten Grund knurrt. Nun kann man nach der Ursache forschen und an einer Verhaltensänderung arbeiten (oder man lässt einfach die Finger vom Napf - ich würde auch knurren, wenn jemand versuchte, mir meine Pommes vom Teller zu klauen).
Je besser Sie die Körpersprache Ihres Hundes in verschiedenen Situationen beschreiben können und wissen, wann er wie seine Rute trägt, seine Ohren stellt, wie er beim Fressen, Schlafen, Schnüffeln, etc. aussieht und je weniger Sie sich von Pauschalaussagen in die Irre führen lassen, desto akkurater wird auch Ihre Interpretation sein.
Doch eines muss uns klar sein:
Wir werden nie 100 %ig wissen, ob unsere Interpretation korrekt ist.
In diesem Sinne
Aussage 1: „Sie möchte mich belehren.“
Aussage 2: „Sie möchte mir zu einem tieferen Verständnis verhelfen.“
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