Eine etwas andere Buchvorstellung

Ich habe in den vergangenen Tagen das Buch „Die 1% Methode“ von James Clear gelesen. Obwohl es in diesem Buch nicht um Hunde sondern um Gewohnheitsänderungen beim Menschen geht, gingen mir ständig die folgenden 2 Gedanken durch den Kopf:

-          Dieses Konzept kenne ich aus dem Hundetraining!

-          Wow! Das ist ein super Tipp für‘s Hundetraining!

 

Also habe ich beschlossen, meine wichtigsten Erkenntnisse aus dem Buch zu teilen.

Fangen wir mit dem 1. Punkt an – Das Konzept kenne ich aus dem Hundetraining!

1.      Die beste Selbstbeherrschung haben in der Regel diejenigen, die sie am wenigsten brauchen.“ (S. 121)

       „Menschen mit starker Selbstbeherrschung verbringen in der Regel weniger Zeit in verlockenden Situationen. Es ist einfacher, der Versuchung aus dem Weg zu gehen, als ihr zu widerstehen.“ (S. 125) Somit kommen die Menschen am ehesten ans Ziel, die sich ein Umfeld schaffen, in dem sie ihre unerwünschten Verhaltensweisen kaum ausleben können. Für die paar übrigen Situationen reicht die Selbstbeherrschung dann aus.

Beim Hundetraining gilt das Prinzip „ändere die Umwelt und du änderst das Verhalten“. Wenn man eine Verhaltensänderung erreichen möchte, sollte man zuerst an den Umweltbedingungen arbeiten, um es dem Hund so leicht wie möglich zu machen. Ich finde den Abschnitt zur Selbstbeherrschung vor allem spannend, weil wir oft von Hunden verlangen, dass sie sich in jeder Lebenslage „im Griff haben“. Sie haben einen starken Jagdtrieb, sollen aber im nur so nach Wildspuren duftenden Wald nicht jagen, sie sind die Stadt nicht gewöhnt, sollen aber an lockerer Leine neben dem Menschen laufen und jegliche Reize ausblenden, sie kommen von der Straße und mussten Tag für Tag für ihr Futter kämpfen sollen jetzt aber jeden Brocken, der auf dem Weg liegt ignorieren.
Ist uns überhaupt bewusst, welche Selbstbeherrschung wir von Hunden in diesen Situationen verlangen? Dabei können wir das selbst gar nicht leisten. Wenn ich mich gesünder ernähren will, stelle ich mir nicht überall im Haus Schälchen mit Süßigkeiten auf. Wenn ich aufhören möchte zu rauchen, treffe ich mich nicht mit Kettenrauchern, die mir bei jeder Gelegenheit eine Zigarette anbieten. Wenn ich Geld sparen möchte, meide ich Shoppingcenter, gehe nicht auf irgendwelche Verkaufspartys und halte mich auch nicht ständig auf Seiten wie amazon und co. auf. Also wie im Hundetraining: ich passe meine Umwelt an, damit das von mir erwünschte Verhalten sehr wahrscheinlich wird.

2.       Die konditionierte Entspannung

Im Hundetraining gibt es den Begriff der konditionierten Entspannung, d.h. man verbindet das Gefühl der Entspannung mit einem Wort, damit sich der Hund nach einiger Übung auch in einer nicht entspannenden Situation kurz entspannen kann. Im Buch habe ich hierzu die folgenden Passage gefunden:

„Gehen wir einmal davon aus, dass Sie sich allgemein etwas besser fühlen möchten. Suchen Sie sich etwas, das Sie wirklich glücklich macht – zum Beispiel Ihren Hund zu streicheln -, und erstellen Sie dann eine kurze Routine, die Sie jedes mal durchführen, BEVOR Sie das tun, was Sie lieben. (…)
Dreimal tief Luft holen. Lächeln. Hund streicheln. Wiederholen.
Irgendwann verbinden Sie diese Routine aus Atmen und Lächeln mit guter Laune. Sie wird zu einem Auslösereiz, der bedeutet, dass Sie glücklich sind. Wenn dieser Reiz fest etabliert ist, können Sie ihn jederzeit nutzen, wenn Sie Ihre Gefühlslage ändern wollen. Stress bei der Arbeit? Dreimal tief Luft holen und lächeln.“ (S. 167)

Natürlich hat die konditionierte Entspannung ihre Grenzen und muss auch immer wieder „aufgeladen“ werden, sonst wird die Handlung irgendwann nicht mehr mit Entspannung verknüpft sein. Doch sie kann in kritischen Situationen helfen, dem Hund die nötige Entspannung zu liefern.

3.       „Sobald eine Gewohnheit entstanden ist, wird sie wahrscheinlich nicht mehr in Vergessenheit geraten.“ (S. 125)
Das erlebe ich auch bei Hunden. Wenn Hunde eine Gewohnheit (in diesem Fall ein bestimmtes Verhalten auf einen Reiz oder eine Situation) entwickelt haben und dieses Verhalten im ungünstigsten Fall schon seit Jahren zeigen, wird es schwierig, von diesem Verhalten wegzukommen.

„Deshalb ist es vielversprechender, schlechte Gewohnheiten gar nicht erst entstehen zu lassen. Und das gelingt besonders gut, indem man sich vor den Reizen schützt, die sie auslösen.“ (S. 123)

Sprich: Schaffen Sie eine „Ja-Umgebung“ für den Hund, also ein Umfeld, in dem Sie den Hund loben können, weil er gar nicht die Gelegenheit für unerwünschtes Verhalten bekommt.

4.       „Mit der Zeit bringen Sie Ihre Gewohnheiten nicht mit einem einzigen Auslöser in Verbindung, sondern mit dem gesamten Kontext, der das Verhalten umgibt. Der Kontext wird zum Auslösereiz.“ (S. 116)
Im Hundetraining gibt es viele Beispiele dafür. Hier 2 Klassiker:

a.       Der „Hundeplatzeffekt“
Wie oft haben Sie schon gehört oder auch selbst erlebt, dass der Hund besonders gut „hört“, wenn auf dem Hundeplatz trainiert wird? Ist auch klar. Der Hund verknüpft die Örtlichkeit, die Menschen, den Trainer, die anderen Hunde, etc. mit den Übungen. Nicht nur das Kommando „sitz“ sorgt dafür, dass der Hund sich setzt, sondern die komplette Umgebung. Merke: wenn ich möchte, dass mein Hund Kommandos überall ausführt, muss ich auch überall mit ihm üben.

b.       Der „Verbrannte-Erde-Effekt“

Es gibt Hunde, die haben ihre Standardgassistrecke mit Aufregung, Stress und negativen Emotionen verknüpft. Das heißt, dass nicht erst der Erzfeind ums Eck laufen muss, um den Hund in eine negative Stimmungslage zu versetzen. Die Umgebung reicht hierfür schon aus – und wenn dann noch der Erzfeind auftaucht….
Merke: in solch einer Umgebung fange ich gar nicht erst mit dem Training an. Ich suche mir erstmal einen neutralen oder vielleicht sogar positiv verknüpften Ort.

5.       „Die Erwartung einer Belohnung veranlasst uns zum Handeln, nicht die Belohnung selbst. Je größer die Erwartung, desto größer die Dopaminspitze.“ (S. 142)

Dopamin spielt bei vielen neurologischen Prozessen eine zentrale Rolle. Das Spannende hierbei: Dopamin wird nicht nur freigesetzt, wenn man Freude EMPFINDET, sondern auch, wenn man sie ERWARTET. Bei Kokainsüchtigen steigt der Dopaminspiegel, wenn sie das Pulver SEHEN, nicht nachdem sie es genommen haben.“ (S. 135).

Damit wäre auch der Satz Vorfreude ist die schönste Freude bewiesen.

Fragen Sie sich: wie ist die Erwartungshaltung Ihres Hundes, wenn Sie mit ihm etwas üben möchten oder wenn der Spaziergang bevorsteht? Die Erwartungshaltung entscheidet über das Verhalten. Also ändern Sie die Erwartung, um Verhalten zu ändern.

 

Nun zum 2. Punkt – Wow! Das ist ein super Tipp für‘s Hundetraining!

1.       Die 2-Minuten-Regel

Diese Regel besagt, dass eine neue Gewohnheit am Anfang nicht mehr als zwei Minuten in Anspruch nehmen soll.
Nehmen wir einmal an, Sie möchten mehr Beschäftigung in den Alltag Ihres Hundes einbauen und haben sich dazu die Fährtenarbeit ausgesucht. Hier ist es praktisch unmöglich, nur 2 Minuten zu investieren, da allein die Vorbereitung (in den Wald gehen und die Fährten legen) schon ca. 15 Minuten in Anspruch nimmt. Was also tun? Hier hilft folgendes Phänomen:

„Nach Schätzungen von Forschern führen wir tagtäglich vierzig bis fünfzig Prozent aller Handlungen gewohnheitsmäßig aus. (…) Ja, eine Gewohnheit ist oft nach wenigen Sekunden vorbei, doch sie kann dennoch die Handlungen prägen, die Sie einige Minuten oder gar Stunden später ausführen. Gewohnheiten sind wie eine Autobahnauffahrt. Sie führen auf einen bestimmten Weg, und ehe man sich versieht, steuert man mit hoher Geschwindigkeit auf das nächste Verhalten zu.“ (S. 196)

Meine Gewohnheit für die Fährtenarbeit besteht darin, VOR der Morgenrunde mit Leckerchen gefüllte Dosen an die Tür zu legen. Das dauert max. 60 Sekunden. Doch diese 60 Sekunden sorgen dafür, dass ich mir nach der Rückkehr vom Spaziergang die Dosen schnappe, mich aufs Fahrrad setze und in den Wald fahre. Dass ich mich trotz der Dosen an der Tür GEGEN das Fährtenlegen entscheide, ist nahezu unmöglich, da die Dosen den Startschuss für mein Verhalten (= Fährten legen) darstellen. Und wenn die Dosen erstmal im Wald versteckt sind, mache ich auch ganz sicher an dem Tag Fährtenarbeit. Somit setze ich mit nur 60 Sekunden bewusster Arbeit eine Verhaltenskette in Gang, deren Unterbrechung für das Gewohnheitstier Mensch schwieriger ist statt sie auszuführen.

2.       Die „Niemals-zweimal-auslassen“-Regel

„Einmal aussetzen ist ein Versehen. Ein zweites Mal aussetzen ist der Anfang einer neuen Gewohnheit.“ (S.243)
Wenn Sie sich vorgenommen haben, einmal am Tag mit Ihrem Hund eine Denk- oder Suchaufgabe oder eine andere Art der Beschäftigung zu machen, dann kann es immer passieren, dass es an einem Tag nicht klappt. Doch ein 2. Mal sollten Sie auf keinen Fall das Training auslassen. Sonst laufen Sie Gefahr, dass aus der Gewohnheit „jeden Tag“ die Gewohnheit „heute nicht, mache ich morgen“ wird. Egal wie stressig der Alltag ist, raffen Sie sich zumindest für einen kurzen Moment auf und machen Sie eine Light-Version der Beschäftigung. Statt z.B. einen Parcours im Garten aufzubauen, machen Sie stattdessen eine kleine Leckerchensuche oder bereiten einen Schnüffelkarton vor.

3.       Sie machen das für Ihr Zukunfts-Ich
„Warum raucht man, obwohl bekannt ist, dass damit die Gefahr von Lungenkrebs steigt? (…) Die Folgen schlechter Gewohnheiten treten mit Verzögerung ein, die Belohnungen jedoch unmittelbar. Rauchen mag Sie in zehn Jahren das Leben kosten, kann jedoch jetzt Stress abbauen. (…) Bei unseren schlechten Gewohnheiten fühlt sich das unmittelbare Ergebnis normalerweise gut an, das endgültige Ergebnis dagegen schlecht. (…) Für gute Gewohnheiten bezahlen Sie in der Gegenwart, für schlechte in der Zukunft.“ (S. 228)
Übertragen auf das Hundetraining bedeutet das: wenn Sie mit Ihrem Hund das Kommando „Bleib“ aufbauen, bedeutet das in der Gegenwart Arbeit- und Zeitaufwand ohne erstmal einen praktischen Nutzen zu erzielen. Doch nach ein paar Monaten des Trainings werden Sie dafür belohnt. Sie haben ein sicher aufgebautes Kommando, das Ihnen in vielen Situationen das Leben erleichtert. Denken Sie also an Ihr Zukunfts-Ich, wenn Sie das nächste Mal vor der Entscheidung stehen: üben oder nicht-üben.

4.       „Die Büroklammer-Strategie“
Fortschritte schaffen Befriedigung. Doch nur, wenn man diese sichtbar macht. In meiner Hundeschule arbeite ich u.a. deshalb mit Trainingstagebüchern, um den Fortschritt festzuhalten. Am Anfang eines Trainings sieht man den Fortschritt noch nicht, genauso wenig wie man nach einer Liegestütze gleich ein Sixpack hat. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die geleistete Tätigkeit zu visualisieren, z.B. in dem Sie im Trainingstagebuch festhalten, dass Sie heute mit Ihrem Hund 2 Minuten am Rückruf gearbeitet haben. Dieses sogenannte „Gewohnheitstracking“ stellt Ihre Belohnung dar. „Es ist befriedigend, einen Punkt von der To-do-Liste zu streichen, (…) einen Tag im Kalender anzukreuzen. Es ist ein schönes Gefühl (…) und etwas, das angenehme Gefühle hervorruft, hält man länger durch.“ (S. 239)  Statt den Fortschritt schriftlich festzuhalten können Sie z.B. jedes Mal, wenn Sie eine Übungseinheit mit Ihrem Hund absolviert haben, eine Büroklammer in ein Glas legen und sich darüber freuen, wie das Glas immer voller wird.

5.      Der optimale Schwierigkeitsgrad

„Das menschliche Gehirn liebt Herausforderungen, aber nur wenn sie dem optimalen Schwierigkeitsstufe entsprechen. (…) der Mensch ist optimal motiviert, wenn er Aufgaben zu bewältigen hat, die am Rande seiner aktuellen Fähigkeiten liegen. Nicht zu schwierig, nicht zu simpel, sondern genau richtig.“ (S. 281)  Wissenschaftler fanden heraus, dass die Motivation am Ball zu bleiben, dann eintritt, „wenn die Aufgabe die aktuellen Fähigkeiten um etwa vier Prozent übersteigt.“ (S.282)
Welch eine Erkenntnis! Natürlich ist es extrem schwierig bis nahezu unmöglich, den Schwierigkeitsgrad exakt um 4% zu erhöhen. Allerdings soll Ihnen das verdeutlichen, wie überlegt und strukturiert Sie beim Training vorgehen müssen, um die optimale Motivation zu erreichen. Ich erlebe täglich, wie der Hund vor Aufgaben gestellt wird, die seine aktuellen Fähigkeiten bei Weitem überschreiten und sich die Menschen dann ärgern, weil er es nicht kann. Nicht der Hund ist das Problem, der Mensch ist es. Deshalb, die Aufgabe so wählen, dass der Hund es gerade noch schaffen kann!

 

Ich könnte noch einen 2. und bestimmt auch einen 3. Artikel über dieses Buch schreiben, so viele Erkenntnisse habe ich daraus gewonnen. Doch ich belasse es hierbei und wünsche Ihnen viel Spaß beim Einführen neuer und ausschleichen alter Gewohnheiten - und vielleicht auch beim Lesen des Buches ;-)

 

Quelle: Die 1% Methode, minimale Veränderung, maximale Wirkung - James Clear - ISBN 978-3-442-17858-2

Kommentar schreiben

Kommentare: 0