Warum klappt es nicht???

Sie verfolgen vielleicht schon eine Weile meinen Blog, haben die letzten Einträge zur positiven Verstärkung und zur positiven Strafe gelesen, mit Ihrem Hund vielleicht sogar schon fleißig geübt und stellen nun fest: es ist zwar schön, was die Hundetrainerin da schreibt und was man auch in anderen Artikeln, Beiträgen oder auf YouTube mitbekommt, aber irgendwie funktioniert es doch nicht. Woran kann das liegen? Diesem Thema wollen wir heute auf den Grund gehen.
Hier die möglichen Gründe für den sich nicht einstellenden Trainingseffekt:

 

1.      Unrealistische Erwartungen:
Uns ist allen klar: einem Erstklässler brauche ich keine Abitur-Prüfung vorlegen und erwarten, dass er diese besteht.
Doch ist uns das auch bei den Hunden bewusst? Da hat Bello gerade mal das Bei-Fuß-Kommando gelernt und nun soll er es schon in einer Innenstadt, auf lange Strecken oder beim Vorbeigehen an Artgenossen abrufen. Das wird nicht funktionieren.
Wie beim Menschen gilt auch bei Hunden: Übung macht den Meister und nach der 1. Klasse kommt erstmal die 2. Klasse und nicht gleich das Abitur.

2.      Alter:
Auch beim 2. Punkt werde ich den Vergleich zum Menschen ziehen. Einem 13-jährigen sieht man an, dass er noch mitten in der Entwicklung steckt. Kein Mensch käme auf die Idee, die gleiche Leistung von einem Teenager wie von einem 30-jährigen zu erwarten.
Das Problem: ein einjähriger Hund und ein 3-jähiger Hund erscheinen von der Optik gar nicht so unterschiedlich. Siehe Fotos meines Rüden (Simba im Alter von 11 Monaten und 3 Jahren). Doch dazwischen liegen Welten. Ein Einjähriger steckt mitten in der Pubertät, die Gehirnentwicklung ist noch nicht abgeschlossen, er lässt sich leicht von seiner Umwelt ablenken, kann sich schwer beherrschen, ist verspielter und schneller erregbar als ein Dreijähriger. 

3.      Genetik/Rasse:
Was entscheidend ist: Hund ist nicht gleich Hund. Ich kann nicht von jedem Hund das Gleiche erwarten. Der Mensch hat nicht umsonst durch Selektion Hunderte verschiedener Rassen erschaffen. Auch, wenn sich unser Alltag zu dem von früher sehr verändert hat, jeder Hund bringt die Genetik seiner Rasse (oder Rassekombinationen) mit. Wenn ich den Rückruf bei einem Malteser, einem Australian Shepherd und einem Kangal trainiere, muss ich davon ausgehen, dass mir das Erbgut beim Einen das Training erleichtert und es mir beim anderen erschwert.

4.      Unstrukturiertes oder unpassendes Training

Meist passiert Folgendes: man lebt mit seinem Hund zusammen, stört sich an der einen oder anderen Verhaltensweise, sieht aber keinen Handlungsbedarf. Dann wird der Leidensdruck größer und plötzlich bringt eine Situation das Fass zum Überlaufen und „man muss handeln.“ Das endet meist im blinden Aktionismus und in oft fragwürdigen Trainingsmethoden. Diese Phase der „Trainierwut“ hält oft Tage bis Wochen an und endet nicht selten in frustrierten Zwei- und verunsicherten Vierbeinern.

 

5.      Gar kein Training

Ja, richtig gehört. Es kommt tatsächlich häufiger vor, als man denkt, dass mit dem Hund nicht trainiert wird, sondern dass der Hund einfach der Situation ausgesetzt wird und er mit dieser klarkommen soll.
Ein Beispiel: man möchte, dass der Hund an lockerer Leine durch eine Innenstadt läuft. Es ist KEIN Training, wenn ich mit dem Hund einfach in eine Stadt marschiere und von ihm erwarte, dass er es kann. Das wäre so, als wenn man zu einem Nichtschwimmer sagte: „Komm, ich bring dir schwimmen bei“, um diesen anschließend vom Beckenrand zu schubsen und zu schreien: „Du musst schwimmen“, während dieser dabei ist, unterzugehen.

6.      Der Alltag passt nicht zu den Bedürfnissen des Hundes
Mal ganz übertrieben gesagt: wenn ich mit dem Hund nur 10 Minuten am Tag spazieren gehe, ihm lieblos sein Futter (das er zu allem Überfluss nicht verträgt) hinstelle und ihn sonst sich selbst überlasse, muss ich mich nicht wundern, wenn er keine Beziehung zu mir aufbaut, sich selbst eine Beschäftigung sucht und mir draußen zerrend in der Leine hängt.

7.      Der Faktor Zeit
Manchmal hört man Hundehalter sagen, sie würden schon Monate an einer Thematik arbeiten, es würde aber nicht funktionieren.
Doch, wie viel wird tatsächlich trainiert?
Auch hier ein Beispiel aus der Menschenwelt: Ein durchschnittlicher Fahrschüler benötigt ca. 30 Fahrstunden bis zur Fahrprüfung. Das sind 1.350 Minuten. Nun soll der Hund kein Autofahrer werden, dennoch sind für ihn manche Situationen, Abläufe oder Kommandos sicherlich ähnlich anspruchsvoll wie für uns die Fahrschule.

Gehen wir davon aus, dass wir mit unserem Hund 2-mal täglich in 5-Minuten-Einheiten an EINEM Thema arbeiten (oft sind es mehrere Themen), dann reden wir von 135 Tagen, also 4,5 Monaten, die man braucht, um auf die Minutenanzahl eines Fahrschülers zu kommen. Nach dieser Zeit kann sich weder der Fahrschüler noch der Hundehalter zurücklehnen. Denn nur weiteres Üben bringt den Erfolg und Sicherheit, sich in jeder Situation zurechtzufinden.
Das heißt nicht, dass man für jedes Thema monatelanges Training benötigt. Sauber aufgebaut, im richtigen Moment bestätigt und angepasst an den Hund können manche Punkte schon nach wenigen Trainingsminuten abgehakt werden. 

 

Ok, nun haben Sie vielleicht eine Idee bekommen, woran es liegen könnte.

 

Doch viel wichtiger ist nun die Frage: was tun, damit es klappt?

Stellen Sie sich vor, Sie wollten einen Marathon laufen. Hier würden Sie auch nicht einfach losjoggen. Sie würden sich zuerst informieren, sich vielleicht sogar professionelle Hilfe suchen, anschließend einen Plan erstellen und dann Woche für Woche den Plan abarbeiten, bis Sie fit genug für den Marathon wären. So müssen Sie sich auch das Training mit Ihrem Hund vorstellen.

Klingt nach Arbeit? Ist es auch. Deshalb: überlegen Sie sich genau, was Ihnen wichtig ist und freuen Sie sich über alles, was der Hund schon ohne Training zeigt (ja, manche Hunde sind „einfach so“ leinenführig, kommen ohne Rückruftraining zu ihrem Menschen gelaufen und liegen entspannt im Restaurant ohne dass jemals geübt wurde – Glückwunsch, wenn Sie so einen Kandidaten daheim haben).

 

1.      Zuerst einmal müssen Sie sich die Frage stellen, was Sie genau möchten z.B. „Ich wünsche mir, dass ich mit meinem Hund an lockerer Leine durch eine Innenstadt gehen kann.“

 

2.      Planen Sie für das Training eine REALISTISCHE Zeitspanne ein. Wie wichtig ist Ihnen das Thema? Wie viel Zeit sind Sie bereit wöchentlich ins Training zu investieren?
Teilen Sie das Trainingsziel in Teilschritte auf z.B. „In einem Monat möchte ich mit meinem Hund an lockerer Leine 200 Meter in ablenkungsfreier Umgebung laufen können.“, „In 3 Monaten…“, „In 6 Monaten…“, etc.

 

3.      Überlegen Sie sich, welche Kompetenzen und Hilfsmittel Sie benötigen. Haben Sie das nötige Fachwissen, um das Training strukturiert und zielführend aufzubauen? Brauchen Sie Hilfspersonen? Wie fangen Sie an? Um bei unserem Beispiel zu bleiben: natürlich beginnen Sie nicht mit dem Leinenführigkeitstraining in der Innenstadt. Sie suchen sich eine kurze, ruhige Strecke und üben dort regelmäßig bis sich die ersten Erfolge einstellen.

Bleiben Sie flexibel und passen Sie das Training an Ihren Hund an. Nicht jede Methode passt für jeden Hund.

 

4.      Welche Stellschrauben gibt es noch?

Futter, Schmerzen, Ruhe- und Aktivitätsphasen, etc. Es gibt einiges, was sich ändern lässt, was dem Training – aber vor allem Ihrem Hund (und damit auch Ihnen) – zu Gute kommt. Um beim Beispiel zu bleiben: mit einem entspannten, ausgeglichenen Hund, dessen Bedürfnisse befriedigt sind, lässt sich Leinenführigkeit viel leichter trainieren.

 

5.      PAUSEN

Diese sind nicht zu unterschätzen. Manchmal braucht es einfach ein paar Tage Pause zwischen den Einheiten, um das Erlernte abrufen zu können. Manchmal ist es auch so, dass sich ein Thema von alleine löst, wenn Sie Ihrem Hund einfach etwas Zeit geben und die Möglichkeit, entspannt positive Erfahrungen zu sammeln.

 

6.      Immer einen Plan B haben.
Für die Übergangszeit oder in ungewohnten Situationen sollten Sie sich Alternativen überlegen. Sammeln Sie alle Möglichkeiten und streichen Sie anschließend diese, die nicht zu Ihnen, Ihrem Alltag, Ihrem Hund passen.

Zu Thema Leinenführigkeit in der Innenstadt hier ein paar Beispiele:

o   selbst nicht mehr in eine Innenstadt gehen

o   den Hund nicht mit in die Stadt nehmen, sondern in daheim lassen

o   den Hund zwar mitnehmen, ihn aber z.B. an einer längeren Leine führen oder die direkte Innenstadt meiden oder nur zu Uhrzeiten gehen, an denen wenig los ist.

o   den Hund mitnehmen und ohne Leine führen (wenn erlaubt) – manche Hunde laufen ohne Leine besser als mit

o   wenn es nur um einen kurzen Besuch der Innenstadt geht, das Wetter passt und der Hund es kann: ihn im Auto lassen

o   wenn der Hund sich in einem Hundebuggy oder Fahrradanhänger wohlfühlt, kann das auch eine Alternative sein.

Für die meisten Themen finden sich Alternativen, bis das Training greift. In manchen Fällen stellt man sogar fest, dass der Plan B besser ist als der ursprüngliche Plan. Wenn z.B. der Hund entspannt daheim in seinem Körbchen liegt und sich wohlfühlt, stellt sich die Frage, ob der Innenstadtbesuch tatsächlich trainiert werden muss.

 

7.      Spaß

Mit Freude und Motivation lernt es sich leichter. Welches Signal können Hunde in fast allen Lebenslagen ausführen? Ich würde sagen, es ist „Pfote“ (sofern sie es gelernt haben). Und warum? Weil der Mensch es dem Hund mit Freude und Spaß beigebracht hat (ich habe noch nie von jemandem gehört, der „Pfote“ mit aversiven Methoden aufgebaut hat).
Sehen Sie das Ganze als eine gemeinsame Beschäftigung und nicht als lästige Pflicht. Sie sind schließlich die Person, die entscheidet, was trainiert wird und wenn Sie darauf keine Lust haben, dann halten Sie sich an Plan B und lassen das Training sein.

 

 

In diesem Sinne: viel Spaß beim (Nicht-)Training!

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